Plenarrede: Aktuelle Stunde zum Massaker in Butscha
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Die grauenvollen Bilder, die uns seit dem vergangenen Wochenende aus Butscha erreichen, sind unerträglich. Mit dem Rückzug der russischen Truppen aus dem Großraum Kiew wird das Ausmaß der Zerstörung und der Barbarei immer deutlicher. Vor den Augen der ganzen Welt bricht Putins Russland das Völkerrecht mit einer Brutalität, die ihresgleichen sucht.
Bis vor einer Woche hatte ich den Namen Butscha noch nie gehört. Bis vor einer Woche wusste ich nicht einmal, wo dieser Ort auf der Landkarte liegt. Ich bin mir aber sicher, dass künftige Generationen, ob in der Ukraine, in Deutschland oder in ganz Europa, wissen werden, was in Butscha passiert ist und wofür dieser Ort steht. Butscha steht für unfassbar viel Leid, Gewalt und grauenhafte Verbrechen. Satellitenbildern zufolge liegen dort die toten Männer, Frauen und Kinder seit Wochen auf den Straßen, teilweise gefesselt, geknebelt und mit Spuren von Vergewaltigungen.
Ohnmacht, Angst, Hilflosigkeit. Noch immer habe ich das Gesicht von Präsident Selenskyj vor Augen, der mit ausländischen Journalisten durch Butscha geht, damit diese der Welt zeigen können, welche grausamen Massaker an unschuldigen Zivilisten begangen wurden. Sein Gesichtsausdruck spiegelt all jene Gefühle wider, die so viele ukrainische Mütter, Väter und Angehörige in diesen Tagen schmerzhaft durchleben. Die Toten von Butscha, sie alle hatten Freunde und Verwandte; sie alle waren Menschen mit Träumen und Sorgen für das Leben. Sie alle hatten individuelle Biografien, und sie alle waren einzigartig. Ich weiß nicht, was wir noch für Bilder zu sehen bekommen werden; aber ich befürchte, dass die grausamen Bilder aus Butscha nur die Spitze des Eisberges sind.
Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen ist viel über die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik gesprochen worden. Sehr oft habe ich in den letzten Tagen gehört, dass wir alle naiv gegenüber Russland gewesen sind und Putin falsch eingeschätzt haben. Diese Fehler dürfen sich nicht wiederholen, und gerade jetzt, in dieser Situation, dürfen wir erst recht nicht naiv sein. Der Westen hat nach dem Georgien-Krieg nicht entschlossen gegenüber Putin reagiert; der Westen hat nicht geschlossen auf die Krim-Annexion reagiert. Der Westen hat sich im Wesentlichen weggedreht, als Russland in Syrien ganze Städte und Dörfer ausradiert hat. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Solange dieses Regime existiert, wird es keine Sicherheit in Europa geben, nirgendwo.
Künftige Generationen werden uns, egal ob Regierung oder Opposition, die Frage stellen, wie wir uns in diesen Schicksalsstunden Europas verhalten haben. Wir sind es nicht nur den Opfern dieses Krieges schuldig; wir sind es auch uns selbst schuldig: Jede Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diesem Regime ist eine Schande und muss schnellstmöglich beendet werden, meine Damen und Herren.
Deutschland und Europa zeigen sich in dieser dunklen Stunde der europäischen Geschichte solidarisch mit der Ukraine – nicht nur mit schönen Worten, auch mit Taten. Weitere Taten und Handlungen müssen folgen; eine breitgefächerte Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte ist von äußerster Wichtigkeit. Jetzt ist die Zeit gekommen, Russland klarzumachen, dass die Beziehung zum Westen endgültig zu Bruch gegangen ist, solange Putin die Macht im Kreml innehat. Die Welt wird die Gräueltaten von Butscha niemals vergessen. Wir werden und müssen alles dafür tun, dass die Verantwortlichen für diese Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Putin hat versucht, mit seinem brutalen Angriffskrieg die Ukraine zu vernichten und den Westen zu spalten. Das ist ihm nicht gelungen, meine Damen und Herren, und das wird ihm auch nicht gelingen.
Wir stehen fest an der Seite aller Ukrainerinnen und Ukrainer, die in diesen schweren Tagen um ihre Freiheit und ihr Leben kämpfen. Slawa Ukrajini!