Bijan Djir-Sarai

Plenarrede: Zum geordneten Rückzug der NATO-Truppen aus Afghanistan

Bijan Djir-Sarai im Plenum des Deutschen Bundestags

Seit zwei Jahrzehnten verlängert dieses Haus regelmäßig das Mandat für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Es galt,  zu verhindern, dass Afghanistan wieder eine Brutstätte des internationalen Terrorismus werden kann und gleichzeitig sollte den Menschen und vor allem den Frauen in Afghanistan nach 30 Jahren Bürgerkrieg und Gewalt eine neue Perspektive gegeben werden. Dass dieses Mandat nun zu einem Ende kommt, ist auch für Deutschland von großer Bedeutsamkeit.

Unser Dank für dieses komplexe Engagement gilt besonders unseren Soldatinnen und Soldaten, die unter Einsatz ihres Lebens gedient und gekämpft haben.

Karfreitagsgefecht hat Bild des Einsatzes maßgeblich verändert

Meine Damen und Herren, ich persönlich werde den 02. April 2010 niemals vergessen. An diesem Tag bin ich mit der Bundeswehr in Afghanistan gewesen.

Dieser Tag ist später in die Geschichte eingegangen als der Tag des Karfreitag-Gefechts. Als die Fallschirmjäger aus Seedorf an diesem Tag in einer Ortschaft bei Kunduz ankamen, ahnten sie nicht, dass dieser Tag die weitere Entwicklung des Einsatzes und das Bild des Afghanistan-Einsatzes maßgeblich verändern würde. Ein Zug der ersten Kompanie des Fallschirmjägerbataillons 373 geriet in einen Hinterhalt und wurde in ein stundenlanges Feuergefecht verwickelt. Am Ende waren Hauptfeldfebel Nils Bruns, Stabsgefreiter Robert Hartert und Hauptgefreiter Martin Augustyniak gefallen. Weiter Soldaten wurden schwer verletzt. Dieser Tag hat den Blick der deutschen Gesellschaft auf den Afghanistan-Einsatz verändert. Es war der Tag, an dem das Land merkte, dass es sich bei dem Einsatz um einen Kriegseinsatz handelt.

Die spätere Trauerfeier für die drei gefallenen Soldaten, bei der ihre Familien anwesend waren, werde ich mein Leben lang nicht vergessen.

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Zu differenzierter Betrachtung verpflichtet

Heute, im Jahr 2021, sind wir verpflichtet, diesen Einsatz differenziert zu betrachten. Heute schauen wir auf der einen Seite auf die erzielten Erfolge zurück. Doch auf der anderen Seite ist unser Blick auch von Sorge geprägt. Das  zwischen den Taliban und den USA geschlossene Abkommen von Doha hat die afghanische Regierung geschwächt und die Taliban international zu Verhandlungspartnern erklärt. Dennoch kommen die innerafghanischen Friedensverhandlungen nicht voran. Das Gewaltniveau ist seit 2020 stark angestiegen und immer mehr unschuldige Zivilisten werden Opfer von brutalen Terroranschlägen.

Bei allem Realismus sollte man aber auch nicht vergessen, dass sich auch Afghanistan in den letzten 20 Jahren verändert hat. Afghanistan ist nicht mehr dasselbe Land wie 2001. Eine neue Generation junger Frauen und Männer haben, nicht zuletzt durch deutsche Hilfe, studiert, eine Ausbildung begonnen und damit Zukunftsperspektiven erhalten.

Die Menschen in Afghanistan wissen heute mehr von der Welt und haben eine andere Erwartungshaltung gegenüber den Regierenden als dies Anfang der 90er Jahre der Fall war.

Wir tragen die Verantwortung für das Leben unserer afghanischen Ortskräfte

Meine Damen und Herren, wir haben auch eine Verantwortung für diejenigen Afghaninnen und Afghanen, die jahrelang ihr Leben riskiert haben, weil sie mit unseren Einsatzkräften kooperiert haben. Sie dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden.

Zu unsern Pflichten gehört darüber hinaus übrigens auch eine Evaluierung des Einsatzes. Das sind wir zum einen den Soldatinnen und Soldaten schuldig. Zum anderen ist es wichtig, Lehren für die Zukunft und andere Auslandseinsätze zu ziehen. Wir müssen uns zum Beispiel die Frage nach der Realisierbarkeit unserer Zielsetzungen stellen. Ich denke da insbesondere an die aktuelle Situation in Mali.

Ja, auch die afghanische Regierung hat große Defizite. Dazu gehören vor allem die starke Fokussierung auf Kabul und der oft halbherzig geführte Kampf gegen Korruption und Missmanagement. Dennoch verkörpert sie zumindest staatliche Strukturen, deren weiteren Ausbau wir unterstützen müssen.

Meine Damen und Herren, gerade jetzt dürfen wir die Menschen in Afghanistan nicht allein lassen. Wir müssen jede Chance ergreifen, mit zivilen Mittelnengagiert zu bleiben. Die Menschen in Afghanistan, haben in ihrem Wunsch nach einem besseren Leben vor allem auf Deutschland geschaut - wir dürfen sie jetzt nicht im Stich lassen.

Der militärische Einsatz in Afghanistan geht zu Ende – das politische Engagement in Afghanistan muss aber nachhaltig weitergehen.

Vielen Dank.