Bijan Djir-Sarai

Plenarrede: Territoriale Integrität der Ukraine

Foto: Johannes James Zabel

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Seit April des letzten Jahres stehen russische Truppen an der Grenze zur Ukraine. Mit der Behauptung, dass Russlands Sicherheit bedroht sei, wird das Truppenaufgebot seitdem weiter verstärkt. Forderungen nach dem Abzug aus dem Gebiet und die Warnung vor Sanktionen blieben bisher völlig unbeachtet.

Ich bin weiterhin sehr besorgt über die Lage vor Ort. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute hier im Deutschen Bundestag über den Konflikt, den Russland entfacht hat, offen diskutieren. Meine Damen und Herren, nicht die Ukraine hat diesen Konflikt entfacht, nicht die NATO hat diesen Konflikt entfacht, sondern Russland hat diesen Konflikt entfacht.

Diplomatie und Deeskalation müssen für uns oberstes Gebot sein und bleiben. Dabei dürfen wir aber die Fakten in dieser Debatte nicht ignorieren. Es ist nicht die Sicherheit Russlands, die bedroht ist. Es ist die Ukraine, die von Russland bedroht wird; es sind die Menschen in der Ukraine, die Angst um ihre Zukunft haben.

Immer öfter wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff der Sicherheitsgarantie von russischer Seite genannt. Ich frage mich, wovor Russland eigentlich Angst hat und wofür Russland eine Sicherheitsgarantie braucht. Ich glaube nicht – das hat der Kollege Michael Roth vorhin auch zu Recht gesagt –, dass Russland Angst vor der Ukraine oder vor der NATO hat. Russland hat Angst vor Demokratie und Freiheit.

Es wäre ein Albtraum für Präsident Putin, wenn die Ukraine europäisch, demokratisch und wirtschaftlich erfolgreich wäre. Deswegen versucht Russland nun schon seit vielen Jahren, die Ukraine und übrigens ganz Europa zu destabilisieren.

Russland hat Angst vor Veränderung und Fortschritt. Wenn ehemalige Sowjetrepubliken der Geist der Freiheit packt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch im eigenen Land ähnliche Bewegungen entstehen. Das lässt deutlich erkennen, dass die außenpolitische Agenda des Kremls stark innenpolitisch motiviert ist. Es darf nicht sein, dass am Ende ein Verhandlungsergebnis steht, bei dem Russland ein Vetorecht über die Zukunft anderer Staaten hat.

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Aus unserer Sicht ist es von großer Bedeutung, dass der Kreml den Preis weiterer Eskalationen kennt. Zu einer realistischen Außenpolitik gehört, dass alle Optionen auf dem Tisch bleiben. Wenn wir wollen, dass Diplomatie eine Chance hat, und wenn wir wollen, dass uns Russland ernst nimmt, dann müssen alle Optionen auf dem Tisch bleiben, meine Damen und Herren.

Eine russische Invasion wäre nicht irgendein ferner Grenzkonflikt, sondern ein fundamentaler Schlag gegen unsere europäische Sicherheitsordnung und Sicherheitsarchitektur. Wir sind Freunde des russischen Volkes und haben großen Respekt vor den Menschen in Russland. Wir lehnen aber die aktuelle Politik der russischen Führung entschieden ab. Der gegenwärtige russische Weg ist ein Irrweg, der unweigerlich in die Isolation führt. Präsident Putin muss klar sein, dass sein Verhalten gravierende Folgen haben wird, die nicht im russischen Interesse liegen können.

Ich bedaure sehr, meine Damen und Herren, dass die Debatte über die Sicherheitsarchitektur in Europa, die derzeit stattfindet, im Wesentlichen zwischen den USA und Russland geführt wird. Europa ist nicht dabei. Und es gibt einen Grund, warum Europa nicht dabei ist: Uns ist es in den letzten Jahren in Europa nicht gelungen, in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Wir als Europäer haben uns in den letzten Jahren kleingemacht, und jetzt bezahlen wir leider auch den Preis dafür. Wir sind bei dieser wichtigen Debatte nicht dabei. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass sich das ändert.

Frau Präsidentin, ein letzter Gedanke: Die Prinzipien des Völkerrechts, der Menschenrechte und der europäischen Friedensordnung sind nicht verhandelbar. Vielen Dank, meine Damen und Herren.