Bijan Djir-Sarai

Plenarrede zur deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat

Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Ohne Frage gehört die Gründung der Vereinten Nationen mit zu den größten Leistungen der Menschheitsgeschichte. Zu ihrem maßgeblichen Gremium gehört der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Er ist unverzichtbar für den Erhalt und die Förderung von Frieden, Sicherheit und Stabilität. Theoretisch werden in seinen Sitzungen Entscheidungen von globaler Tragweite getroffen, wird über Krieg und Frieden entschieden, wird um Kompromisse gerungen. Deutschland hatte in den letzten gut zwei Jahren die Gelegenheit, einen wichtigen Beitrag zu leisten.

Die Krisen, Kriege und Konflikte, für die im Sicherheitsrat Lösungen gesucht werden, haben sich in ihrer Komplexität in den vergangenen Jahrzehnten stets gewandelt. Vom Kalten Krieg über islamistischen Terror und um sich greifende autokratische Regime: Ein Patentrezept für Frieden hat es nie gegeben. Entsprechend sehen heute die Antworten auf Konflikte anders aus als vor 50 Jahren. Vor diesen Realitäten stand auch die deutsche Mitgliedschaft. Und auch wenn viele Studien besagen, dass die Welt immer friedlicher wird, immer mehr Menschen in Wohlstand leben, mehr Freiheiten genießen, so stehen die Vereinten Nationen nach wie vor vor einer Mammutaufgabe. Denn nicht nur die Auseinandersetzungen werden komplexer, sondern auch das Erreichte scheint fragiler. Das haben zuletzt die US-Wahlen gezeigt, das sehen wir in Hongkong, in Bergkarabach und auf eine Art und Weise auch durch die Covid-19-Pandemie. Deshalb, meine Damen und Herren, liegt es in der Natur der Sache, dass wir alles dafür tun müssen, um die Vereinten Nationen und insbesondere den VN-Sicherheitsrat zu stärken. Dringend nötige Reformen dürfen nicht länger verschoben werden. Der Sicherheitsrat muss endlich im 21. Jahrhundert ankommen.

Zu hoch ist die Anzahl der Konflikte, bei denen sich die internationale Gemeinschaft nicht einigt. Zu hoch ist das Leid, wenn der Sicherheitsrat nicht handlungsfähig ist. Syrien, Libyen, Afghanistan, Ukraine – die Liste der Konflikte, zu deren Lösung der Rat nur geringe Beiträge leisten konnte, ließe sich weiter fortführen. Und da, wo es in letzter Zeit Fortschritte gab, konnten die Erfolge oft einzelne Staatsregierungen verbuchen. Der Sicherheitsrat hat leider ganz eindeutig ein Glaubwürdigkeitsproblem. Seine zahlreichen Resolutionen werden leider nur selten eingehalten. Daran hat sich auch während der deutschen Mitgliedschaft nicht viel verändert. Dieses Glaubwürdigkeitsproblem haben Staaten wie China und Russland längst erkannt. Sie weiten ihre Einflussräume vor den Augen der Weltöffentlichkeit aus, verletzen internationales Recht, treten Menschenrechte mit den Füßen. China baut systematisch seinen Einfluss innerhalb internationaler Gremien aus; zuletzt wurde das am Beispiel der WHO ganz deutlich. Auch auf solche Entwicklungen muss dringend reagiert werden. Denn abgesehen davon, dass der wachsende chinesische Einfluss eine Herausforderung für unsere Sicherheit und Interessen darstellt, darf es nicht möglich sein, multilaterale Organisationen zu unterwandern.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hätte auch mehr über die Reform des Sicherheitsrates sprechen müssen. Die Sitzverteilung im Sicherheitsrat ist nicht repräsentativ und kein Spiegelbild der heutigen Welt. Man könnte aus dem ständigen französischen Sitz einen europäischen Sitz machen. Herr Macron hält regelmäßig historische Reden; aber über dieses konkrete Thema möchte er nicht reden. Meine Damen und Herren, es müssen viele Hausaufgaben gemacht werden, um der Mammutaufgabe des Sicherheitsrates ansatzweise gerecht zu werden. Auch im Nachgang zur deutschen Mitgliedschaft muss die Bundesregierung im Interesse unserer Sicherheit den Druck zu Reformen erhöhen. Gerade jetzt, nach der US-Präsidentschaftswahl, könnte ein guter Zeitpunkt sein, um dem Multilateralismus frischen Wind zu verleihen und Frieden und Freiheit weltweit eine neue Chance zu geben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.